Josephinum

Medizinhistorisches Museum Wien, April 2023

Das Josephinum, das 1785 als militärchirurgische Akademie gegründet wurde, zeigt seine reichen Sammlungsbestände: anatomische Wachsmodelle aus dem 18. Jahrhundert, die Geschichte Josephs II., jene der I. und II. Wiener Medizinischen Schule und des Nationalsozialismus bis hin zur heutigen Hightech-Medizin.

 Josephinum in Wien, April 2023

Das Josephinum, auch Collegium-Medico-Chirurgicum-Josephinum, war eine medizinisch-chirurgische Akademie in Wien zur Ausbildung von Militärärzten für die österreichische Armee. Heute ist in den Gebäuden des ehemaligen Josephinums das Institut für Geschichte der Medizin der Medizinischen Universität Wien untergebracht, ebenso wie andere Institute.

 Josephinum in Wien, April 2023

Das Josephinum wurde von Kaiser Joseph II. 1784 als k.k. medizinisch-chirurgische Josephs-Academie zur Ausbildung von Ärzten und Wundärzten für die Armee gegründet und am 7. November 1785 eröffnet. Die Initiative dazu hatte sein Leibchirurg Giovanni Alessandro Brambilla ergriffen, den der Kaiser 1779 mit der Leitung des gesamten österreichischen Militärsanitätswesens betraut hatte, in dem viel zu reformieren war.

 Josephinum in Wien, April 2023

Das Allgemeine Krankenhaus Zentrum der Wiener Medizin
Auf zahlreichen Reisen erkundet Joseph II. auch die Spitäler anderer Länder und hält seine Beobachtungen fest. In Paris ist er von der zentralisierten Versorgung im Hôtel-Dieu begeistert, aber von den sozialen und hygienischen Umständen schockiert. Für Wien plant er ein ebenso großes, aber menschenwürdigeres Spital. Der Herrscher beauftragt seinen Leibarzt, Joseph Quarin, mit der Umsetzung. Auf dem Areal des Wiener Groß-Armenhauses entsteht binnen kürzester Zeit eine Anstalt mit 2.000 Betten, die eine große Innovation - jeweils nur für eine Person vorgesehen sind. Über zwei Jahrhunderte werden in den unter Joseph errichteten Gebäuden Millionen von Patient:innen behandelt. Mediziner innen entwickeln hier neue Methoden der Diagnostik und Behandlung. Das Allgemeine Krankenhaus ist das Herzstück der Wiener Medizinischen Schule.

 Josephinum in Wien, April 2023

Joseph II., die Aufklärung und die Medizin
Die Aufklärung ist eine Zeit des Sammelns und Ordnens von Wissen. Mit dem Ziel, die Welt auch abseits tradierter theologischer Ideen erklären zu können, versuchen die Philosophen und frühen Wissenschaftler des 18. Jahrhunderts, die Abläufe der Natur zu verstehen. Auch der Mensch ist für sie Teil dieses komplexen Systems. Er darf, wie alle anderen Lebewesen, aus seinen Einzelteilen und ihrer Funktionsweise erklärt werden. Auch die Medizin ist Teil dieser Veränderungen und greift zunehmend wissenschaftliche Erkenntnisse aus anderen Bereichen auf. Maria Theresia fördert diese Entwicklung. Unter anderem holt sie Gelehrte der berühmten Schule Boerhaaves aus Leiden nach Wien, um die Ausbildung der Ärzte in Österreich zu verbessern. Ihr Sohn Joseph II. macht die Medizin zum Kernprogramm seiner Regierung. Er bricht mit Konventionen, erneuert Lehrpläne und Institutionen und prägt damit bis heute die österreichische Medizinlandschaft.

 Josephinum in Wien, April 2023

Der bedeutende Teil der Sammlung, die anatomischen Wachsfiguren, gehen auf Initiative von Kaiser Joseph II. zurück, welcher für das Josefinum insgesamt 1.192 Wachsmodelle bei Wachsbildhauern in Florenz bestellen ließ. Ende des 18. Jahrhunderts war die Region um Florenz das Zentrum der Wachsmodellierkunst und Wachsmodelle lösten die zuvor für diesen Zweck gebrauchten Materialien wie Terrakotta ab. Die anatomischen Wachsmodelle wurden ab 1786 in der Akademie im Rahmen der Ausbildung verwendet, waren aber im Sinne der Aufklärung auch für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich.

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Das Josephinum
Das als medizinisch-chirurgische Militärakademie gegründete Josephinum ist Ausdruck Josephs aufklärerisch-utilitaristischer Geisteshaltung. Im neoklassizistischen Stil nach den Plänen von Isidore Canevale gebaut, soll hier eine einheitliche und streng überwachte Ausbildung ermöglicht werden. Die bis dahin vorwiegend außerhalb der Universität unterrichtete Chirurgie wird aufgewertet und der Medizin als gleichberechtigtes Fach zur Seite gestellt. Anatomische Modelle, chirurgische Instrumente sowie zahlreiche Präparate und Bücher bilden das Herzstück dieser Institution. Portraits berühmter Ärzte aus Antike und Renaissance schmücken den Hörsaal und viele der anderen Räume. Sie stellen das Josephinum in eine glorifizierte medizinische Tradition.

 Josephinum in Wien, April 2023

Die Wachsmodelle und ihre Geschichte
Auf einer Italienreise 1769 entdeckt Joseph II. die Wachsmodellkunst. Fasziniert von den anatomischen Modellen beschließt er, eine Sammlung für das Josephinum anfertigen zu lassen. In der Florentiner La Specola, die von seinem Bruder Leopold begründet wurde, bestellt er rund 1.200 Modelle. Die Anatomen Felice Fontana und Paolo Mascagni sind für die Konzeption verantwortlich. Als Vorlage dienen Leichen aus dem Spital Santa Maria Nuova. Das Team von Wachsbildner Clemente Susini produziert die Modelle in nur vier Jahren. Auf Maultieren überqueren die Modelle die Alpen und erreichen nach einer beschwerlichen Reise Wien. Trotz einiger Schäden, die in Wien behoben werden, ist die Sammlung ab 1786 in der Akademie zu sehen.

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Das Josephinum ist das bedeutendste Beispiel klassizistischer Architektur in Wien und das wichtigste bauliche Erbe der josephinischen Ära. Es wurde 1785 von Kaiser Joseph II. als medizinisch-chirurgische Militärakademie gegründet, um angehende Ärzte und Hebammen für den zivilen und militärischen Bereich nach neuartigen Methoden auszubilden. Das Josephinum beherbergt die weltberühmte anatomische Wachsmodellsammlung, die Joseph II. in Florenz eigens für die neu gegründete Akademie in Auftrag gab, sowie weitere Sammlungen mit beeindruckenden Objekten, Büchern, Archivalien und Handschriften. Das Josephinum ist das historische Eingangstor zur Medizinischen Universität Wien und auch heute noch ein wichtiger Ort für Austausch, Lehre und Forschung auf dem Gebiet der Geschichte und Ethik in der Medizin.

 Josephinum in Wien, April 2023

Die anatomischen Wachsmodelle aus Florenz im Josephinum
Joseph II. entdeckt 1769 auf einer Italienreise die Kunst des Wachsmodellierens. Fasziniert von den anatomischen Modellen, die er dort sieht, beschließt er, eine Sammlung für den anatomischen Unterricht in seiner Akademie, dem Josephinum anfertigen zu lassen. Rund 1.200 Modelle bestellt er beim Florentiner Museum La Specola, das von seinem Bruder Leopold gegründet wurde. Für die Konzeption der Modelle sind die Anatomen Felice Fontana und Paolo Mascagni verantwortlich. Als Vorlagen dienen ihnen Leichen aus dem Krankenhaus Santa Maria Nuova.
Ein Team um den Wachsbildhauer Clemente Susini fertigt die Modelle in nur sechs Jahren Auf Maultieren überqueren die Modelle die Alpen und erreichen nach einer beschwerlichen Reise Wien. Sie werden ab 1786 in der Akademie ausgestellt.

 Josephinum in Wien, April 2023

Die Wachsmodelle sind zum besseren Verständnis mit kolorierten Zeichnungen mit Darstellungen des jeweiligen anatomischen Präparates und einer Erklärung komplettiert. Diese Blätter entstanden gemeinsam mit den dazugehörigen Wachsmodellen. Für fast jedes einzelne der ca. 1.200 florentinischen Wachsmodelle, die Kaiser Joseph II. in Florenz in Auftrag gab um seine neu gegründete militärisch-chirurgische Akademie damit auszustatten gibt es eine korrespondierende Zeichnung die den jeweiligen Körperteil darstellt. Zur Erklärung der Anatomie wurde mit Zahlen, die in einem Raster angeordnet waren einzelne Beschreibungen in deutscher und italienischer Sprache verfasst. Diese Beschreibungen waren in den Schubladen unter den dazugehörigen Vitrinen der Wachspräparate untergebracht und gaben den Zöglingen der Akademie und Besuchern Orientierung, vergleichbar mit heutiger Darstellung in 3D-Wachsmodelle und Bilder.

Der Betrachter wird dabei auf eine Reise ins Innere des Körpers geführt und sieht, was damals wie heute dem Auge verborgen ist. Mit den Techniken der modernen Radiologie scheinen diese Bilder überholt. Was uns erfreut, ist ihre Ausdruckskraft und Schönheit. Was wir bewundern, ist die Kühnheit mit der uns aus vergangenen Zeiten die Kenntnis über den menschlichen Körper in idealer Verbindung von Wissenschaft und Kunst überliefert ist.

 Josephinum in Wien, April 2023

Das Herzstück der Sammlungen im Josephinum bilden die ursprünglichen Bestände, die Joseph II. für die Gründung der Institution anschaffen ließ. Die berühmte Sammlung anatomischer und geburtshilflicher Wachsmodelle geht auf eine persönliche Initiative des Kaisers zurück. Begeistert von den Wachsmodellen in La Specola in Florenz, die sein Bruder der Großherzog der Toskana und spätere Kaiser Leopold II. anfertigen hatte lassen, bestellte Joseph II. ebenso eine Sammlung für die neu gegründete Akademie in Wien. Unter Aufsicht des Direktors Felice Fontana und des Anatomen Paolo Mascagni wurde diese von 1784 bis 1788 in Florenz hergestellt und gelangt nach einem mühsamen Transport über die Alpen schließlich nach Wien. Sie diente einerseits als Anschauungsmaterial für den Unterricht, andererseits war sie bereits damals für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Wachsmodelle sind heute zum Großteil erhalten und werden in sieben Räumen in den originalen Vitrinen aus Rosenholz und venezianischem Glas in ihrer historischen Aufstellung präsentiert.

 Josephinum in Wien, April 2023

Wien und die Welt
Wien als Hauptstadt der Donaumonarchie ist durch Internationalität geprägt. Die hiesige Medizinische Fakultät zeichnet sich durch Pionierleistungen in der Forschung, der Lehre und der praktizierten klinischen Medizin aus. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kommen Studierende zunehmend nicht nur aus den habsburgischen Ländern, sondern auch aus anderen Teilen Europas, den USA sowie Ägypten, Indien, Japan und China nach Wien. Ab der Jahrhundertwende sind darunter auch immer mehr Frauen. Das hier erworbene Wissen tragen sie weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Internationale Netzwerke entwickeln sich, diese begünstigen länderüber greifende Reisen und Wissenstransfer. Nicht immer ist diese Mobilität freiwillig. In manchen Phasen weichen Mediziner:innen vor Diskriminierung und Unterdrückung nach Wien aus. Ab 1938 vertreibt das NS-Regime jüdische und politisch missliebige Personen.

 Josephinum in Wien, April 2023

 Josephinum in Wien, April 2023

Netzwerke - Austausch -Wissenstransfer
Als Hauptstadt versorgt Wien das große Vielvölkerreich mit medizinischem Personal. Hier treffen Forscher:innen und Studierende verschiedenster Herkunft, Sprache, Tradition und Religion zusammen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kommen vermehrt auch nicht-europäische Studierende nach Wien. Selbst der Erste Weltkrieg unterbricht diese Internationalisierung nur kurzfristig und es kommt zu einem begrenzten wissenschaftlichen Aufschwung in der Zwischenkriegszeit. Die internationale Blütezeit weicht jedoch bald einer Herrschaft der Wissenschaftsfeindlichkeit und Brutalität. Misstrauen und Bespitzelung verdrängen internationale Offenheit. Unter dem NS-Regime werden mehr als die Hälfte der Fakultätsmitglieder und ein großer Teil der Mitarbeiter:innen und der Studierenden der Universität verwiesen.

 Josephinum in Wien, April 2023

Körperbilder
Seit Jahrtausenden beschäftigt sich der Mensch mit Bildern des eigenen Körpers, die oft von Mythen und religiösen Vorstellungen geprägt sind. Mit der zunehmenden Verbreitung von Leichensektionen ab dem 14. Jahrhundert etabliert sich in Europa ein neues, stärker empirisch begründetes Körperbild. Die Anatomie fördert neue Erkenntnisse zutage. Zudem ermöglicht die Entwicklung technischer Vorrichtungen ungeahnte Einblicke in das Körperinnere. Mit der rasanten technologischen Entwicklung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts können immer feinere Einzelheiten des Aufbaus und der Funktionen des menschlichen Körpers sichtbar gemacht werden. Die Labormedizin entwickelt immer neue Parameter und Methoden zu deren Messung. Die Digitalisierung, die im späten 20. Jahrhundert alle Lebensbereiche erfasst, führt auch im Gesundheitsbereich zu einer explosionsartigen Entwicklung bei der Erhebung, Sammlung und Speicherung von Daten.

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Der nachgeahmte Körper
Präparate, Abgüsse und Modelle von menschlichen Körperteilen und ihren Funktionen dienen zu Studien- und Forschungszwecken. Manche sind originalgetreue Nachbildungen, andere stellen abstrahierte Modelle dar. Sie zu erstellen, erfordert wissenschaftliche Kenntnisse, technisches Können und künstlerische Fertigkeiten. Technologische Neuerungen ermöglichen es, immer mehr Körperteile und ihre Funktionen immer besser nachzuahmen und zu ersetzen. Viele Patient:innen profitieren davon, es stellen sich aber auch Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen der technischen Verbesserung des Menschen.

Mediceische Venus (Wachsmodell)
Das Highlight der Wachsmodellsammlung des Josephinums mit seinen fast 1200 Objekten sind zweifellos die Ganzkörperdarstellungen. Unter ihnen sticht das Modell einer im vierten Monat schwangeren Frau besonders hervor. Das Modell lässt sich öffnen und alle inneren Organe können entnommen und einzeln betrachtet werden. Auchder Uterus und der darin befindliche Fötus können entnommen werden und bieten einen faszinierenden Blick auf die anatomischen Kenntnisse des späten 18. Jahrhunderts.

Weibliches Ganzkörpermodell mit Lymphgefäßen des Halses, der inneren Organe, der Blase und Gebärmutter, 1785

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Staat, Macht und Medizin
Zur Zeit der Aufklärung entdecken staatliche Akteure das Machtpotential der Medizin. Ihre Erkenntnis, dass die Gesundheit der Bevölkerung Militär und Wirtschaft beeinflusst, macht die Gesamtbevölkerung zur Patientin des Staatsapparats, der immer mehr über ihren Gesundheitszustand erfahren will. Die moderne Medizin soll die Verbreitung von Krankheiten statistisch dokumentieren und mit einer laufend erweiterten Gesundheitsversorgung den Kreislauf aus Armut, Krankheit und frühem Tod brechen. Die Strukturen, die in diesem Prozess entstehen, stärken wiederum die Macht des Staates. In diesem, auch vom technologischen Fortschritt getriebenen Prozess entwickelt sich die Medizin in neue Richtungen. Auf modernen Schlachtfeldern wird sie mit neuen Verletzungen und der Entstellung ihrer Patienten konfrontiert. Aus den biopolitischen Ansätzen der Aufklärung entwickeln sich im 20. Jahrhundert auch Ideologien, die das Wissen der Medizin für grausame Experimente und Massenmord anwenden. Das Erbe dieser Zeit und die stete Abwägung verschiedener Interessen und Rechte sind Teil des bis heute heftig diskutierten Themenkomplexes der Biopolitik.

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Medizin und Gesellschaft
Das 19. Jahrhundert bringt enorme medizinische Fortschritte und steigert das Ansehen des ärztlichen Standes. Riesige Krankenhäuser und Kliniken werden nun gebaut und Ärzte, besonders jene an der Universität, werden zu wohlhabenden Personen des öffentlichen Lebens. Die bürgerliche Angst vor dem Spital, das früher der Armenversorgung diente, verfliegt und es entsteht ein großer Markt für private Dienstleister, die neueste Kuren und Therapien anpreisen. Gleichzeitig tritt das Leid ärmerer Bevölkerungsschichten in den Fokus öffentlicher Diskussion. Adel und Bürgertum überbieten sich mit Spenden an Heilanstalten und Sanatorien. Auch die Ärzteschaft ist um gesellschaftliche Repräsentation bemüht. Viele haben Kunstsammlungen und Salons, und von offizieller Seite werden Büsten und Medaillen für hervorragende Vertreter des Standes produziert. Hinter den Fassaden stehen aber auch Neid und Missgunst an der Tagesordnung. Sie verhindern wissenschaftliche Karrieren und konterkarieren den Fortschritt der Medizin.

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Modell des Wiener Allgemeinen Krankenhauses im Maßstab 1:288 - Oskar Hinterberger, Wien, 1940
Dieses Kartonmodell zeigt detailgetreu das Allgemeine Krankenhaus im Jahr 1784. Trotz seiner Entstehungszeit weist es keine offensichtlichen Bezüge zur NS-Zeit auf. Nur die Dachmarkierungen mit dem Schutzzeichen des Roten Kreuzes verweisen auf den Krieg. Die 1938 im Innenraum schwer beschädigte, aber nach außen intakte Synagoge (Hof 6) ist nicht als solche erkennbar.

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Giovanni Alessandro Brambilla
* 15. April 1728 in San Zenone al Po (IT), † 30. Juli 1800 in Padua (IT)
Brambilla stammt aus der Lombardei und beginnt 1752 ein Medizinstudium in Padua. Er entwickelt ein besonderes Interesse für die Chirurgie und ist im Siebenjährigen Krieg in einem österreichischen Regiment tätig. Als erfolgreichen Militärchirurgen holt ihn der Thronfolger Joseph II. als seinen Leibchirurgen nach Wien. Er begleitet Joseph auf zahlreichen Reisen und ist Anfang der 1780er Jahre auch in größere Reformprojekte eingebunden. Neben seinen Versuchen, die Militärchirurgie zu vereinheitlichen, ist er die treibende Kraft bei der Gründung zweier Institutionen in Wien: der militärischen Sanitätsschule (1781) und des Josephinums.

Büste des Giovanni Alessandro Brambilla
Giovanni Alessandro Brambilla ist Gründungsdirektor des Josephinums und ein entschiedener Verfechter chirurgischer Behandlungsmethoden. Unter seiner Führung wird auch in Österreich die Chirurgie, die traditionellerweise außerhalb der akademischen Medizin verortet war, zu einem vollwertigen Teil der ärztlichen Ausbildung.

 Josephinum in Wien, April 2023

Die historische sogenannte Josephinische Bibliothek erhielt zur Zeit der Gründung des Josephinums alles bis zu diesem Zeitpunkt erschienenen, bedeutenden medizinischen und naturwissenschaftlichen Werke. Mit mehr als 6.000 Bänden, die vor 1800 veröffentlicht wurden, und etwa ebenso vielen Büchern aus dem 19. Jahrhundert, ist diese Sammlung die größte Bibliothek historischer medizinischer Literatur im deutschsprachigen Raum und eine der bedeutendsten Bibliotheken in Europa. Heute sind zahlreiche weitere Sammlungen der Medizinischen Universität Wien im Josephinum untergebracht, darunter umfassende Instrumenten-, Bilder- und Archivaliensammlungen und Bibliotheken, die die Geschichte der Medizin und den großen Beitrag der Wiener Schule der Medizin zu deren Fortschritt dokumentieren.

Gerard van Swieten, Wien, 1760er Jahre

 Josephinum in Wien, April 2023

Maria Theresia als Kaiserin-Witwe - Portrait im Stile Joseph Hickels, Wien (?), um 1800
Mit Maria Theresia beginnt die enge Zusammenarbeit der Habsburger mit ihren Ärzten. Die Regentin ist sich der Rückständigkeit des eigenen Landes in medizinischen Fragen bewusst und holt internationale Expertise nach Wien. Mit Van Swieten und De Haen kommen niederländische Ärzte an ihren Hof, die Medizin nicht primär als starre Tradition betrachten, sondern als am Krankenbett orientierte Erfahrungswissenschaft. Der Medizinbetrieb und auch die Medizinische Fakultät sollen nun nach diesen neuen Prinzipien ausgerichtet werden. Die Regentin will der Skepsis der Bevölkerung entgegenwirken und selbst ein Beispiel setzen. Ihre Kinder sind unter den ersten, die mit einem neuen Verfahren gegen die Pocken immunisiert werden.

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Institutionen der Wiener Medizin
Industrialisierung und Urbanisierung prägen Wien um 1900. Mit der Stadt selbst wachsen auch die gesundheitlichen Probleme. Die katastrophale Wohnsituation von großen Teilen der Bevölkerung ist Nährboden für Krankheiten wie die Tuberkulose. Gleichzeitig bietet der medizinische Fortschritt immer neue Möglichkeiten der Behandlung. Im Bürgertum wächst das Vertrauen in die „Spitalsmedizin" und ein großer Markt für private Dienstleister entsteht. Sowohl die öffentliche als auch die private Gesundheitsversorgung wird um die Jahrhundertwende ausgebaut.

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Lehre und Forschung
Das Ideal von objektiver, unabhängiger und allen zugänglicher Lehre und Forschung gewinnt seit dem 18. Jahrhundert an den Universitäten an Einfluss. Trotzdem bleiben Religion und Politik bestimmende Einflüsse auf die Entwicklung der Wissenschaften. Die Frage, wer an der Universität lehren oder lernen darf, ist zeitweilig Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Auch die Forschung selbst ist ständiger Veränderung unterworfen. Neue Erkenntnisse bringen alte Sicherheiten ins Wanken, lassen Fächer entstehen und wieder verschwinden und eröffnen neue Perspektiven auf scheinbar vertraute Themen. Immer im Fluss und ständig hinterfragt ist medizinische Wissenschaft nie bloße Theorie. Man kann sie hören, sehen und anfassen. Die tiefgreifenden Fragen, die sie an das Objekt ihrer Forschung - den Menschen - stellt, werden auch in Zukunft neue Blickwinkel und Kontroversen eröffnen.

 Josephinum in Wien, April 2023

Krankheit und Gesundheit
Krankheiten werden von zahlreichen Faktoren hervorgerufen und immer individuell empfunden. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wird es zu nehmend üblich, krankhafte Abweichungen an der Leiche zu untersuchen und mit den klinischen Befunden in Beziehung zu setzen. Ein medizinisches Verständnis von Ort, Ursache und Wirkung prägen das Konzept des Krankheitsprozesses. Die Pathologie entwickelt sich zu einer eigenständigen Disziplin. Sie wird im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Säulen der Medizin. Das naturwissenschaftliche Denken, der enorme Wissenszuwachs und der technische Fortschritt führen zu modernen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, welche die Grundlage der gegenwärtigen Medizin bilden.

 Josephinum in Wien, April 2023

Das Josephinum, eine unverwechselbare bauliche Ikone, ist das historische Eingangstor zur Wiener Medizin. Es wurde 1785 von Joseph II. im Rahmen seiner radikalen Reformen zur akademischen Ausbildung der Militärärzte und Chirurgen gegründet und von Isidore Canevale als herausragendes Bauwerk der Aufklärung erbaut. Es beherbergt die international bedeutenden und einzigartigen Sammlungen der Medizinischen Universität Wien und präsentiert sie auf zwei Ebenen. Wesentliche Sammlungsbestände, wie die anatomischen Wachsmodelle aus dem Jahr 1785, die Person Josephs II., die Geschichte des Josephinums als radikale Idee der Aufklärung, die Erste und Zweite Wiener Medizinische Schule mit Verweisen bis zur heutigen Hightech-Medizin und die Wiener Medizinische Fakultät 1938-1945 werden in dieser permanenten Ausstellung unter zeitgemäßer Schwerpunktsetzung gezeigt.

Das Josephinum dient heute als Plattform für Kontakt und Austausch mit Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern. Eine wesentliche Aufgabe ist es, das kulturelle Erbe zu sichern, zu erschließen und zugänglich zu machen, sowie Dokumente und Objekte zu übernehmen um die Sammlungen zu erweitern.

 Josephinum in Wien, April 2023

Apparat zur Bluttransfusion nach Reinhold Boller, Carl Reiner GmbH Wien, 1932
Das Gerät ist eine Wiener Entwicklung. Seit der revolutionären Entdeckung der Blutgruppen durch Karl Landsteiner im Jahr 1901 werden Bluttransfusionen zu einem immer wichtigeren Bestandteil der klinischen Praxis. Als dieses Gerät entwickelt wird, hat Landsteiner Österreich längst verlassen, um in New York unter besseren Bedingungen forschen zu können.

 Josephinum in Wien, April 2023

Darstellung eines Sanitäts-Eisenbahnzugs und eines Krankentransportschiffes mit Einrichtung, Um 1870

 Josephinum in Wien, April 2023

Hygiene Austria-Masken, China/Österreich, 2021/22
Masken sind in der Covid-19-Krise bald allgegenwärtig und werden zum Verkaufsschlager. Die Möglichkeit rascher Profite führt zu manchem Skandal. Im März 2021 fliegt bei Hygiene Austria ein massiver Etikettenschwindel auf: „Made in China" wurde kurzerhand zu „Made in Austria".

Notbetten in der Messe Wien, Foto: C. Jobst/PID Wien, 17. März 2020
Als Vorsorgemaßnahme lässt die Stadtverwaltung in der Messe Wien 2.240 Krankenbetten für Covid-19-Erkrankte aufstellen. Der befürchtete Zusammenbruch des Gesundheitssystems kann verhindert werden, sodass nur ein kleiner Teil dieser Betten tatsächlich belegt wird.

 Josephinum in Wien, April 2023

Die Choleraepidemie 1873
im 1. Wiener Gemeindebezirk von Anton Drasche Wien, Artaria & Co., 1874
Auf dieser Karte verzeichnet der Epidemiologe Drasche die Erkrankungsfälle der Choleraepidemie von 1873. Damit lässt sich die Verbreitung verunreinigten Wassers im 1. Bezirk erkennen. Die Eröffnung der I. Wiener Hochquellenleitung im selben Jahr hemmt die Verbreitung der Cholera entscheidend.

 Josephinum in Wien, April 2023

Die international bedeutenden und einzigartigen Sammlungen der Medizinischen Universität Wien präsentieren sich auf zwei Ebenen. Wesentliche Sammlungsbestände, wie die anatomischen Wachsmodelle, die Person Josephs II, die Geschichte des Josephinums als radikale Idee der Aufklärung, die Erste und Zweite Wiener Medizinische Schule mit Verweisen bis zur heutigen Hightech-Medizin und die Wiener Medizinische Fakultät 1938-1945 werden in dieser permanenten Ausstellung unter zeitgemäßer Schwerpunktsetzung gezeigt.

Physiologische Objekte 1855-1932

 Josephinum in Wien, April 2023

Ernst Wertheim bei einer gynäkologischen Operation - John Quincy Adams Wien, 1907
Wertheim operiert eine durch Myome vergrößerte Gebärmutter. Ihm assistieren Wilhelm Weibel (links), Theodor Micholitsch (rechts, mit Vollbart) und der Narkotiseur Bartuschofsky. Weder der Name der Patientin noch der instrumentierenden OP-Schwester ist überliefert. Die Ordenstracht verweist auf die Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul. Als das Gemälde 1909 im Wiener Künstlerhaus ausgestellt wird, entwickelt sich eine Diskussion über die künstlerische Darstellbarkeit und Präsentation einer solchen Operation. „Warum denn nicht?", antwortet Wertheim, das Publikum soll uns bei der Arbeit sehen; es soll eine Vorstellung davon bekommen, wie solche Dinge beiläufig vor sich gehen. Nur kein Geheimnisvoll-Tun in ärztlichen Dingen!"

 Josephinum in Wien, April 2023

Büsten von Kriegsversehrten, Lublin (PL), 1914-1918
Im Lazarett Lublin dokumentiert Juljan Zilz die Verletzungen seiner Patienten in Form von Gipsbüsten. Sie sind ein wichtiges Zeugnis für das vom Krieg verursachte Leid sowie für die Möglichkeiten der damaligen Kieferchirurgie, aus der die plastische Chirurgie hervorgeht.

 Josephinum in Wien, April 2023

Biopolitik der Gegenwart
Das Wort „Volkskörper" ist aus der Öffentlichkeit verschwunden, aber ein staatliches Interesse an der Gesundheit der Bevölkerung besteht weiter. Statistische Erhebungen zur allgemeinen Konstitution und die Dokumentation verschiedener Krankheiten sind die Grundlage für präventive Maßnahmen und Aufklärung. Die engmaschige Kontrolle der medizinischen Versorgung, aber auch der Bevölkerung haben die Lebenserwartung massiv gesteigert. Doch durch unvorhergesehene Ereignisse, aber auch mit jeder Innovation kommen neue Fragen in diesem komplexen Themenfeld auf. Die Debatten der Biopolitik werden deshalb auch die kommenden Jahrzehnte prägen.

Mutter-Kind-Pass, Wien, 1987
Bis in die 1970er Jahre herrscht in Österreich im Vergleich zu anderen Industrieländern eine besonders hohe Säuglingssterblichkeit. Mit der Einführung des Mutter-Kind-Passes, in dem Untersuchungen sowohl der werdenden Mutter als auch des Kindes festgeschrieben sind, gelingt eine massive Senkung.

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Ursprünge der Biopolitik
Lange ist die Seuchenbekämpfung die einzige staatlich organisierte gesundheitspolitische Aktivität. Im 18. Jahrhundert kommen auch andere Krankheiten und Fragen der Reproduktion ins Blickfeld der Obrigkeit. Das Interesse des Staates an Medizin und dem Zustand der Bevölkerung nimmt nun rapide zu. Immer mehr Informationen werden von öffentlichen Stellen gesammelt, Gesundheitsberufe reguliert und die medizinische Versorgung ausgebaut. Mit Anreizen und Information, manchmal aber auch mit Androhung von Strafen wird versucht, auf die Bevölkerung einzuwirken. Die Wissenschaften und ihre Erkenntnisse sind hier ein treibender Faktor, aber moralische und medizinische Vorstellungen verschwimmen oftmals ineinander.

Sigmund Freud - Hans Frank, Wien, vermutlich zwischen 1920 und 1930
Dieses Portrait Sigmund Freuds ist heute wenig bekannt. Seine Geschichte steht für eine komplexe Vergangenheit und deren Nachwirkungen. Denn während Freud Wien 1938 verlassen muss und wenig später im Londoner Exil stirbt, beginnt für den Künstler Hans Frank eine Zeit der Erfolge. Im Nationalsozialismus wird der Portrait-und Landschaftsmaler von vielen Seiten gefördert und erhält zahlreiche Auszeichnungen, wie den Kriehuber-Preis und den Ehrenpreis der Stadt Wien (beide 1944). Nach 1945 verschwindet sein Name aus der Öffentlichkeit. Einzig sein Freud-Portrait wird zu Werbezwecken genutzt.

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Medizin und Gedächtnis
Geschichte ist das Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und wird immer wieder neu erzählt. Historische Objekte - wie jene in den Sammlungen des Josephinums - sind ein Rohstoff für diese Prozesse. Sie wurden aus unterschiedlichen Gründen gesammelt: um den Ruhm einzelner Mediziner:innen zu bewahren, um große Forschungsergebnisse zu feiern oder Auseinandersetzungen zu dokumentieren. Einzelne Stücke landen auch zufällig in den Sammlungen, sind Teile von Nachlässen oder Funde von Sammler:innen mit speziellen Interessen. Zahlreiche andere Objekte wurden nicht bewahrt aus Missgunst, aufgrund von Vorurteilen oder weil sie in der Vergangenheit schlicht für unwichtig gehalten wurden. Die Sammlungsbestände eines Museums und ihre Lücken eröffnen damit auch neue Perspektiven auf die Vergangenheit. Ihre kritische Betrachtung gibt gleichzeitig Einblicke in die gegenwärtige Gesellschaft und ist die Grundlage für das weitere aktive Sammeln des Hauses.

Portraits 1850-1950
Diese Portraits von Vertreter:innen der Wiener Medizin sind Ausdruck aktiv inszenierter Erinnerung. Teilweise von berühmten Künstler:innen gemalt, sind sie auch von kunstgeschichtlicher Relevanz und dokumentieren eine Epoche bürgerlicher Selbstrepräsentation aus der Zeit von 1850 bis 1950.

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Verehrung und Missgunst
Im 19. Jahrhundert organisiert sich die Ärzteschaft zunehmend in wissenschaftlichen und standespolitischen Vereinigungen. Preise, Geschenke und Erinnerungsmedaillen aus dieser Zeit verweisen auf Praktiken gesellschaftlicher Anerkennung, manchmal sogar Verehrung. Berühmte Ärzte erhalten Geschenke und werden in Büsten und Gemälden verewigt. Die Kehrseite bilden Konkurrenz, Neid und Intrigen nicht selten motiviert durch Antisemitismus, Misogynie und sonstige Ressentiments. Diese richten sich oft gerade gegen die erfolgreichsten Kolleg:innen und behindern so manche Innovation.

Kunst, Literatur und andere Leidenschaften
Viele Mediziner gehen um 1900 auch Tätigkeiten in anderen Bereichen nach. Manche schreiben Bücher und Theaterstücke, andere sind als Sammler und Kunstexperten aktiv. Die Beschäftigung mit den schönen Künsten gilt als Statussymbol. Wer selbst kein Literat oder Mäzen ist, kann im kunstaffinen frühen 20. Jahrhundert auch Nachdrucke berühmter Kunstwerke im Katalog bestellen. Doch nicht nur in der Kunst sind Ärzte tätig, manche widmen sich auch technologischen Innovationen. Sie lassen sich in den gefragtesten Fotostudios ablichten, gehören zu den ersten Autofahrern und einer ist auch ein Pionier der Luftfahrt.

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Studierendenobjekte
Wem und auf welche Art medizinisches Wissen weitergegeben werden soll, ist um 1900 eine heiß diskutierte Frage. Das umstrittene Frauenstudium, praxisorientierte Zugänge, aber auch neue Kunstrichtungen beeinflussen den Universitätsbetrieb. Medizinisches Wissen wird auch durch vielfältige Artefakte vermittelt, die den Alltag der Studierenden prägen und in manchen Fällen auch widerspiegeln.

Reliefs bedeutender Ärzte 1850-1930

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Eduard Albert
* 20. Januar 1841 in Senftenberg/Žamberk (CZ), † 26. September 1900 in Senftenberg/Žamberk (CZ)
Der in Böhmen geborene Chirurg ist Vorreiter der Antiseptik und Leibarzt bei Hof. Er fördert als Mäzen, Lyriker und Übersetzer die Künste ebenso wie die tschechische Sprache. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wird er jedoch durch seine Streitschrift gegen das Frauenstudium zur umstrittenen Figur. Darin schreibt er über die angebliche mangelnde geistige Schaffenskraft der Frauen und deren „physische und psychische Untauglichkeit" für das Medizinstudium.

Gabriele Possanner
* 27. Jänner 1860 in Budapest, † 14. März 1940 in Wien
Possanner maturiert 1887 am Akademischen Gymnasium in Wien. Als Frau ist sie zu keinem Universitätsstudium in der Donaumonarchie berechtigt, daher studiert sie von 1888 bis 1893 in Genf und Zürich Medizin. Nach ihrer Promotion 1894 kehrt sie nach Wien zurück. Durch kaiserliche Erlaubnis und nachdem sie alle theoretischen und praktischen Prüfungen des Medizinstudiums in Wien nochmals ablegt, promoviert Possanner am 2. April 1897 als erste Medizinerin Österreichs an der Wiener Universität. Noch im selben Jahr eröffnet sie eine Praxis, wird erstes weibliches Mitglied der Wiener Ärztekammer und 1928 Medizinalrätin. Durch ihren unermüdlichen Einsatz für die Gleichberechtigung von Frauen trägt Possanner wesentlich zur Öffnung des Medizinstudiums in Österreich bei.

Eduard Albert, Die Frauen und das Studium der Medizin Wien, Alfred Hölder, 1895
Portrait von Gabriele Possanner, der ersten in Wien promovierten Ärztin Wien, 1897
Die Öffnung des Medizinstudiums für Frauen ist um 1900 eine leidenschaftlich diskutierte Frage. In der öffentlichen Debatte nimmt der Chirurg Albert eine radikale Position ein. Er ist der „tiefste[n] Überzeugung, dass sich der Arztberuf nicht für Frauen eignet". Allen Widerständen zum Trotz gelingt es Gabriele Possanner 1897 ihr in der Schweiz abgelegtes Medizinstudium nostrifizieren zu lassen und eine eigene Praxis in Wien zu eröffnen.

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Lehre und Forschung
Das Ideal von objektiver, unabhängiger und allen zugänglicher Lehre und Forschung gewinnt seit dem 18. Jahrhundert an den Universitäten an Einfluss. Trotzdem bleiben Religion und Politik bestimmende Einflüsse auf die Entwicklung der Wissenschaften. Die Frage, wer an der Universität lehren oder lernen darf, ist zeitweilig Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Auch die Forschung selbst ist ständiger Veränderung unterworfen. Neue Erkenntnisse bringen alte Sicherheiten ins Wanken, lassen Fächer entstehen und wieder verschwinden und eröffnen neue Perspektiven auf scheinbar vertraute Themen. Immer im Fluss und ständig hinterfragt ist medizinische Wissenschaft nie bloße Theorie. Man kann sie hören, sehen und anfassen. Die tiefgreifenden Fragen, die sie an das Objekt ihrer Forschung - den Menschen - stellt, werden auch in Zukunft neue Blickwinkel und Kontroversen eröffnen.

Carl Rokitansky - Gipsbüste von Viktor Oskar Tilgner, Wien, 1874
Rokitanskys Forschungsort ist der Obduktionssaal. Durch die Klassifizierung von krankhaften Erscheinungen am Leichnam und die Zuordnung zu den Symptomen der Patient:innen schafft er ein übersichtliches System für die Diagnose. Er entwickelt ein medizinisches Verständnis von Ursache und Wirkung und gilt als Begründer der modernen Pathologie.

 Josephinum in Wien, April 2023

Hervorgegangen ist das Josephinum aus einer medizinisch-chirurgischen Schule, die Joseph 1781 auf Veranlassung Brambillas im Militärhospital zu Gumpendorf errichten ließ. Brambilla fungierte bis 1795 als Direktor des Collegiums. Am 3. Februar 1786 wurde die Akademie allen übrigen Fakultäten gleichgestellt und erhielt das Recht, Doktoren und Magister der Medizin und Wundarznei zu graduieren. Für die Akademie wurde in der damaligen Alservorstadt, im heutigen 9. Wiener Gemeindebezirk, in der heutigen Währinger Straße 25, 1783 bis 1785 ein Neubau nach Plänen von Isidor Marcellus Amandus Canevale errichtet.

 Josephinum in Wien, April 2023